Sabine Fuchs-Bongart, veröffentlicht am 12. September 2016

Wann sind denn Flüchtlinge keine Flüchtlinge mehr, sondern wieder Menschen, oder Mitbürger, oder Deutsche oder Kölner?

Die Bilder von nichtabreißenden Flüchtlingsströmen in Europa wie Ende 2015 sind aus den Medien weitgehend verschwunden.

Die Schließung der Grenzen durch Zäune und das zweifelhafte Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zeigen Wirkung, die Lage innerhalb Europas, so scheint es, hat sich etwas entspannt. Die dramatischen humanitären Katastrophen, die sich weiterhin vor den Toren der EU abspielen, können Medien sei Dank, erfolgreich ausgeblendet werden.

Durchatmen!

Die letzten Monate – Flüchtlingskrise; Islamisierung des Abendlandes; ungeregelte Zuwanderung; Pegida rechte Gewalt, linke Gewalt Terror Terror Terror; Burka; Burkini …wie auch die unglaubliche Welle der Hilfsbereitschaft hinterlassen bei mir ein Gefühl der Verwirrung und etwas (Alp-)Traumhaftes-Irreales.

Über allem prangt in großen Buchstaben „WIR SCHAFFEN DAS!“

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Sabine Fuchs Bongart, Diplompädagogin

Dieses „Wir schaffen das“, dieses umstrittene, vieldiskutierte, geliebte, gehasste „Wir schaffen das“ von Frau Merkel als es darum ging eine der größten humanitären Katastrophen seit dem 2.Weltkrieg vor den Toren Europas zu verhindern, dieses Vertrauen in die Kraft und die Werte der deutschen Gesellschaft sind für mich zum Leitmotiv aber auch zum Fels in einer turbulenten Brandung für mein berufliches Handeln geworden.

Denn wenn wir das nicht schaffen, wer dann?

Meine Aufgabe ist es, gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen, seit vielen Jahren, mit jungen Menschen ihre berufliche Perspektive zu entwickeln und sie auf dem Weg in das Berufsleben zu begleiten. Dieser Weg ist immer ein sehr individueller Weg und häufig bestimmen Sackgassen, Hindernisse, Umwege und die Beschaffenheit des Gepäcks die Reise. Das Gepäck ist das, was der junge, ratsuchende Mensch bei sich trägt, wenn er die Reise beginnt. Jedes Gepäck ist individuell geschnürt aus Dingen, die einem mitgegeben wurden; aus Dingen, die man mitgenommen hat, weil sie einem wichtig sind; aus leichten Gegenständen oder schwerwiegenden Gegenständen; aus Dingen, die man dringend benötigt oder aus Dingen, die überflüssig sind…

In den ersten Monaten dieses Jahres wurde ich immer wieder gefragt, ob wir jetzt auch spezielle Angebote für Flüchtlinge machen? Zugegebenermaßen habe ich ziemlich genervt auf diese Fragen reagiert. Spezielles Angebot für Flüchtlinge? WOZU? Unser Angebot richtet sich doch an alle jungen Menschen – egal mit welchem Gepäck sie ihre Reise beginnen möchten.

Um mich herum AKTIONISMUS. Plötzlich gibt es Geld und überall werden Projekte für Flüchtlinge aus dem Boden gestampft. Das einzige und alles beherrschende Thema von der Theke bis Berlin: FLÜCHTLINGE.

Mein Weltbild gerät etwas ins Wanken. Sind Flüchtlinge nicht auch Menschen? Menschen zugegebenermaßen auf einer gefährlichen Reise und mit schwerem Gepäck, aber eigentlich doch mit den gleichen Bedürfnissen: In Frieden leben, für sich selbst und die Familie sorgen können, arbeiten?

Und mit Blick auf die Flüchtlinge, die bereits seit einigen Monaten und Jahren in Deutschland sind: Wann sind denn Flüchtlinge keine Flüchtlinge mehr, sondern wieder Menschen, oder Mitbürger, oder Deutsche oder Kölner?

Ich stelle mir diese Fragen, weil ich mich (und noch ne Frage) frage, ob wir nicht gerade dabei sind, eher aktionistisch, weniger reflektiert (oder weitsichtig?), Parrallelstrukturen aufzubauen. Parrallelstrukturen, die vielleicht mittelfristig integrationshemmend eher zu Parallelwelten führen?

Oder bin ich einfach nur neidisch, weil meine Zielgruppe ins gesellschaftliche Abseits gedrängt wird? (Oder war sie schon immer da?) Oder neidisch, weil sich plötzlich ein (sozialer) Geldsegen auftut, von dem wir (bestehende Institutionen) nicht mal zu träumen wagten? Oder habe ich nur einfach keine Lust, wieder ein neues Konzept zu entwickeln, wieder umzustrukturieren, wieder etwas Neues zu beginnen…

NEIN! Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir, meine Kollegen und ich, konzeptionell und methodisch so gut aufgestellt und so erfahren sind, dass bei uns Flüchtlinge wieder Menschen sind und wir die gemeinsame Reise mit ihnen wagen können. Ich würde mir für uns und für alle diese Menschen einfach etwas mehr finanzielle und personelle Ressource wünschen, weil einfach vielmehr Menschen zu uns kommen seitdem mehr Menschen zu uns kommen. Refugees welcome!!!

Das Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe, eine berufliche Perspektive und damit die vielleicht entscheidende Etappe für eine erfolgreiche gesellschaftliche Integration in unsere Gesellschaft.

Und: Aktionismus scheint gar nicht so schlecht, rückblickend, in einer Krise. Es gibt ein gutes Gefühl, etwas Gutes getan zu haben und, viel wichtiger, ich sehe mittlerweile viele Grundsteine aus denen sich jetzt Fundamente und später vielleicht Gebäude entwickeln.

Sabine Fuchs Bongart
Leitung Caritas Jugendbüro für Arbeit & Beruf, Köln

Sabine Fuchs Bongart ist Diplompädagogin und arbeite beim Caritasverband Köln in der Jugendberufshilfe. Privat interessiert sie sehr für interkulturelle und interreligiöse Themen: „Ich glaube fest daran, dass ein friedliches Miteinander grundsätzlich möglich ist“.